Konstantin Grcic: Wohndesign der Zukunft

Konstantin Grcic ist einer der wichtigsten Designer der Gegenwart. Nach einer Ausbildung zum Schreiner studierte er am Londoner Royal College of Art und im Atelier der Designlegende Jasper Morrison. Am liebsten arbeitet Grcic für die Möbelindustrie. Viele seine Entwürfe gelten schon heute als Klassiker – wir sprachen mit dem Visionär über die Zukunft des Wohnens.

Experten - Konstantin Grcic

 

Wie sieht Ihre Zukunfts-Vision vom Wohnen aus?

Zu allererst: Wir dürfen uns die Zukunft nicht so vorstellen, dass alles so aussehen wird wie heute. Hier Wohnzimmer, da Essraum, dort Schlafzimmer. Meine Inszenierung im Vitra Design Museum 2014 bezog sich auf die persönlichen Spuren eines Menschen.

Bei „Visiona“* war alles eine einzige große Form. Es gab kein Augenmerk auf persönliche Dinge. Für mich aber sind die sieben Sachen eines Menschen das wichtigste, die oft kleinen Dinge, mit denen man durchs Leben geht. Auch in der Zukunft. Das sind aber nicht unbedingt futuristische Dinge.

Grcic zeigt auf einen viel benutzten hölzernen Arbeitsstuhl aus den 1950er Jahren: Dieser Stuhl begleitet mich schon Jahrzehnte. Ich mag ihn und werde ihn weiter benutzen. Unsere Individualität spielt eine große Rolle. Die Dinge der Vergangenheit sind wie ein Abbild einer Person – etwas sehr eigenes und persönliches. Es muss nicht alles nach Zukunft aussehen, was mich in die Zukunft begleitet. Es muss mit mir zu tun haben.

 

Die Entwürfe von vor 40 Jahren sehen futuristischer aus 
als Ihre.

Das war eine andere Zeit. Damals flog man zum Mond und der Blick des Menschen wurde ganz weit. Heute bedeutet Zukunft Nachdenken. Weniger in plakativen Bildern oder Wohnlandschaften, eher in Antworten auf aktuelle Probleme und einen sich schnell wandelnden Lebensstil. Es wird darauf nicht nur eine Antwort geben, sondern viele.

Wenn man heute mit Menschen über die Zukunft spricht, dann hat jeder eine andere Vorstellung davon. Heute haben wir gelernt, dass Zukunft etwas Offenes ist, das man sich immer neu erarbeitet. Früher war 
der Blick darauf viel enger.

Dazu ist es interessant, die alten Visionas mit meinen Installationen zu vergleichen. Mancher wird denken, der Panton war vor 40 Jahren viel moderner als der Konstantin Grcic heute. Aber wir haben ein anderes Bild vom Menschsein und wir haben neue Aufgaben, die uns noch eine Weile begleiten werden: das Klima, die sich verändernde Demografie, die Migration.

 

Man sagt, ein Deutscher besitzt im Durchschnitt 10.000 Dinge. Wie viele davon benötigt man wirklich?

 

Wie haben Sie Ihre Zukunft konkret gestaltet?

Den ersten Raum im Vitra Design Museum nannten wir „Life Space“. Er hat ein riesiges Fenster mit Blick auf einen großen Flughafen. Das irritiert. Wo lebt dieser Mensch, dessen Wohnraum ich da zeige? Mitten im Kerosin! Dafür er hat einen guten Anschluss an die Welt. Die globale Mobilität.

Ansonsten ist es eine kühle, banale Raumhülle. Alles wirkt anonym, ist etwas Vorgefundenes. Diese Hülle wird innen durch Module gestaltet, in denen die Klimaanlage, eine Art Schrank und eine Sound-Anlage stecken. Sie sind ein bisschen Architektur und ein bisschen Möbel. Die Module haben Tragegriffe, damit man sie leicht bewegen kann. Dazwischen gibt es persönliche Dinge, aber nur wenige.

 

Was braucht man, um sich wohl zu fühlen?

Man sagt, ein Deutscher besitzt im Durchschnitt 10.000 Dinge. Wie viele davon benötigt man wirklich? Wenn wir auf Reisen sind, dann reichen ein paar wenige Sachen, um ein Hotelzimmer persönlich zu gestalten. Gegenstände, mit denen man eine gemeinsame Geschichte hat. Damit besetzt man den Ort. Das wird auch in Zukunft so sein und das interessiert mich als Designer, denn wir arbeiten ja genau an solchen Produkten.

Ich wurde einmal eingeladen, in Rom eine Ausstellung mit persönlichen Gegenständen von Goethe zu gestalten. Bei der Vorbereitung bin ich zufällig auf einen Schrank gestoßen, in dem Sachen von ihm aufbewahrt wurden, die niemand richtig erfasst hatte, Überbleibsel der Archivierung. Eine Streichholzschachtel mit alten Knöpfen, ein kaputtes Tintenfass. Alles kleine Dinge, die keinen Wert hatten, aber weil sie von Goethe stammten, hat sie niemand weggeschmissen.

Aber auch Goethe hat sie nicht weg geschmissen. Deswegen habe ich sie ausgestellt. Es sind kleine Dinge, aber sie sagen etwas über ihren Besitzer aus. Der Wert von Dingen ist sehr subjektiv.

 

Nicht immer wird Neues das Alte verdrängen: Es wird weiter Fabriken geben, die Produkte herstellen, und daneben entstehen ganz neue Prozesse, wie Dinge in die Welt kommen.

 

Der zweite Raum befasste sich mit der Welt der Arbeit, dem „Work Space“, in diesem konkreten Fall der Arbeit eines Designers. Dieser Raum hat keine Fenster. Als Verbindung zum Außen dient die Projektion eines Films. Dieser dunkle Raum befindet sich an keinem bestimmten Ort. Er könnte im Keller sein, in einem Felsen oder in der Wüste.

Das Klischee, dass ein Designer in einem schicken Loft arbeitet mit Blick auf Manhattan, stimmt ja schon heute nicht mehr. Kaum jemand kann sich das noch leisten. In der Mitte steht ein Tisch als Symbol: Hier wird gearbeitet.

Ein paar Objekte von mir standen herum, die zeigten, dass Design auch in ein paar Jahren noch handfest sein wird. Und wir stellten die Frage, ob Design zukünftig nicht auch etwas wird, was Menschen zusammen gestalten und im Netz austauschen. Entwürfe, die man sich herunterlädt und auf einem 3D-Drucker selbst herstellt. Vielleicht ist der Designer der Zukunft nicht mehr wie heute ein Autor. Aber nicht immer wird Neues das Alte verdrängen: Es wird weiter Fabriken geben, die Produkte herstellen, und daneben entstehen ganz neue Prozesse, wie Dinge in die Welt kommen.

 

Wird es in unserer Zeit noch die ganz großen Entwürfe und Projekte geben?

Sicher! 2013 Jahr war ich an der Baustelle des neuen Headquarters von Apple in Kalifornien. Ein riesiges, ringförmiges Gebäude. Sehr klassisch, kein Plastik, unbehandeltes Holz oder Aluminium. Etwa so wie das Apple-System selbst: Hardware und Software bilden dort ja auch einen in sich geschlossenen Ring.

Interessanterweise entstand nur ein paar Kilometer entfernt der neue Komplex von Facebook, der ganz anders aussieht: eher wie ein buntes Dorf. Viele junge Leute gehen rein und raus, eine open community. Die Software, die Facebook macht, ist nie fertig. Alles ist offen und kann schnell umgebaut werden. Man sieht die Kabel – und kann sie blitzschnell austauschen. Man hat keine Bürotische, dafür gibt es Schaukeln, Couches 
und Bars. Überall findet Kommunikation statt. Daran sieht man: Das Design ist ein Spiegel dessen, was dort getan wird.

 

Gutes Design dreht sich immer um einen verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen

 

Wie gehen wir mit neuen Materialien im Zeitalter der Nachhaltigkeit um?

Gutes Design dreht sich immer um einen verantwortungsvollen Umgang mit den Ressourcen. Leichtes Carbon zum Beispiel ist für einen Stuhl nicht sinnvoll. Ein hölzerner Thonet-Stuhl hat gerade das richtige Gewicht. Weniger wiegen muss eine Sitzgelegenheit nicht. Wir bauen ja „nur“ einen Stuhl, keine Mondrakete.

Ich arbeite gern für kleine Möbelhersteller, die oft aus einer Schreinerei hervorgegangen sind. Und ich arbeite gern mit Holz. Aber wenn ein Möbelstück in der ganzen Welt verkauft wird, dann müsste es, wäre es aus Holz, für die Schiffstransporte aufwendig versiegelt werden. Manchmal ist dann Kunststoff einfach der bessere Weg. Gutes Design wird sich auch morgen solchen Fragen stellen.

 

Wie gehen Sie damit um, dass immer mehr Gegenstände digitalisiert werden in unserer Welt?

Die Digitalisierung unserer Welt löst viele Dinge auf. Das wird die Anzahl unserer sieben Sachen verringern und verändern: Der iPod hat die Plattensammlung weggefegt. Das ist praktisch, aber die Platten sind eben keine Platten mehr. Früher kam die Erinnerung, wenn ich die Plattenhülle von Ziggy Stardust in den Händen hatte. Heute habe ich nur noch ein simples Bild von ihm auf dem Display. Aber dafür habe ich vielleicht eine Sammlung von Vasen. Es entstehen damit neue Möglichkeiten.

 

Und die Möbel der Zukunft?

Die Grundtypen der Möbel haben sich seit Langem wenig verändert. Wir bauen einen Holzstuhl, fast so, wie die alten Ägypter es schon gemacht hatten. Es gibt den Stuhl, den Tisch, den Stauraum, das Bett. So schnell digitalisieren die sich nicht weg!

Aber manche Bedürfnisse verändern sich. Vieles kann ich heute auf dem iPad erledigen. Dazu brauche ich keinen Bürostuhl mehr. Also werden sich auch Möbel verändern.

 

Und Ihr dritter Raum in der Ausstellung?

Das war der „Public Space“: Da zoomt die Kamera immer weiter weg, weg von der Wohnsituation und hin in ein ganzes Panorama. Ein Londoner Künstler, der sonst Hintergründe für Filme gestaltet, hat es gemalt. Ich habe ihm nur vage Anweisungen gegeben. Der Raum besteht nur aus dem Panoramabild und ein paar Sitzgelegenheiten. Es ist ein Schauen auf die Welt, ein distanzierter Blick.

 

Ihr Zusammensetzen der Umgebung aus unterschiedlichen persönlichen Dingen wirkt gar nicht mehr einheitlich, eher wie eine Collage.

Unser Leben ist viel öffentlicher geworden. Der Mensch muss einen Umgang damit finden, um sich dort sicher zu fühlen. Er muss etwas haben, was ihm Rückhalt bietet. Das können sehr persönliche Dinge sein, aber auch eine App auf dem Smartphone. So wie Kinder, die ihr Lieblingstier überall mit hinnehmen. Das ist einfach menschlich.

 

Hat Ihre Vorstellung von Gestaltung der Zukunft mit Freiheit zu tun?

Die alten Regeln lösen sich auf. Die Möglichkeiten wachsen in 
Zukunft. Das macht alles offen und spannend.

 

*Auf den Kölner Möbelmessen von 1969 und 1970 stellten die beiden Größen der damaligen Design-Szene, Joe Colombo und Verner Panton, dem Publikum ihre Vorstellungen vom Wohnen der Zukunft vor. „Visiona“ nannten sie ihre spektakulären Räume – und gingen damit in die Design-Geschichte ein.