Der Architekten-Flüsterer

Das Klima ändert sich und damit die Anforderungen an unsere Häuser. Obwohl wir mitten im Wandel stecken, haben Bauherren und Architekten kaum Wissen über umweltfreundliche Energieerzeugung. Der Energieplaner Matthias Schuler klärt auf.

Matthias Schuler studierte Maschinenbau mit Augenmerk auf den Einsatz regenerativer Technologien. Seit mehr als 20 Jahren gilt sein Stuttgarter Ingenieurbüro Transsolar als einer der führenden Energieplaner für Architekten weltweit. Mit Computersimulationen berechnet das Team Luftströmungen und Temperaturen vor Baubeginn. Unter den Auftraggebern sind prominente Architekten wie Frank O. Gehry, Renzo Piano, Helmut Jahn, Peter Zumthor und Jean Nouvel.

Experten -  Matthias Schuller

 

Welche Anforderungen stellt der Klimawandel an das Bauen in Deutschland?

Kühlung war früher für Bauten in Mitteleuropa nicht erforderlich, das Thema kommt erst mit der Erderwärmung auf. 2003 gab es in Frankreich durch die Hitzewelle 35.000 Tote. Viele Betroffene waren sicher schon vorher krank, aber ein Teil der Todesfälle wurde durch überhitzte Wohnungen verursacht – Wohnungen, die nicht klimatisiert waren.

Natürlich kann es nicht darum gehen, jedem Haus jetzt eine klassische amerikanische Klimaanlage zu verpassen. Sondern Wohnungen so zu bauen, dass sie bei hohen Außentemperaturen nicht überhitzen.

Das A und O ist ein guter Sonnenschutz. Wirkungsvoll sind zum Beispiel tiefe Dachüberstände auf der Südseite, die im Sommer bei hohem Sonnenstand die Sonneneinstrahlung abschirmen und dadurch die Mittagshitze erst gar nicht ins Zimmer lassen. Diese einfache Maßnahme muss allerdings gut geplant werden, und vielleicht muss man sich im Planungsprozess dann von der einen oder anderen angedachten Dachform verabschieden. Übrigens kann man auch Flächenheizungen so konstruieren, dass sie im Sommer als Wärmesenke dienen und kühlen.

 

Was raten Sie Bauherren bei Neu- oder Umbauten?

Neben einer genauen Betrachtung des Standorts und seiner klimatischen Bedingungen sollte man sein eigenes Verhalten analysieren. Alles technisch zu lösen, halte ich für falsch. Wir müssen lernen, mit den neuen Bedingungen und mit teurer werdender Energie umzugehen. Menschen, die sich Solarkollektoren auf das Haus bauen, verändern oft allein dadurch ihr Verbrauchsverhalten: Sie machen sich einen Sport daraus, mit dem Warmwasser aus ihrem Tank auszukommen, auch wenn es mal zwei trübe Tage gibt.

Mein Vater hat sich schon 1974 eine Solaranlage auf das Dach gebaut. Damit hat er dann gleich drei Nachbarn angesteckt. Die vier haben sich dann über den Zaun unterhalten: Wie warm ist dein Speicher noch, wie lang hält der die Wärme? So kann man die Leute abholen. Sie machen sich ihren Energieverbrauch bewusst.

Allerdings dauert das oft seine Zeit. In Masdar City in Abu Dhabi haben wir gelernt: Wir brauchen mindestens 15 Jahre, um Menschen ein anderes Verhalten anzugewöhnen. Zum Beispiel hat uns einer der dortigen Bauherren gesagt: Er kann nur in einem Zimmer schlafen, wenn die Temperatur unter der Bettdecke auf 18 Grad gekühlt ist. Sein Großvater aber hat in einem Zelt in der Wüste geschlafen, bei 30 Grad! Bewusstsein und Gewohnheiten haben sich also gravierend verändert.

Meine Oma wusste auch noch: An einem heißen Sommertag blieben Fenster und Türen zu. Erst am nächsten Morgen, wenn es kühler ist, hat sie gelüftet. Solches Verhalten haben viele vergessen. Klar: Auch unser Leben hat sich verändert. Oft ist ja tagsüber auch niemand mehr zu Hause.

 

Sehen Sie eine Chance, dass Menschen so etwas wieder lernen?

Die moderne Zentralheizung mit ihrer komfortablen Bereitstellung von Wärme hat uns das Bewusstsein für Energie aberzogen. Früher, als es noch einen Ofen pro Zimmer gab, war es viel mühsamer, Wärme zu erzeugen. Das hat bei den Verbrauchern das Bewusstsein geschärft.

Aber ich möchte natürlich nicht, dass man wieder Kohle schleppen muss, um einzuheizen. Die Industrie hat unser Komfortdenken weiter unterstützt. Die Werbung sagt uns, wir müssen nur die entsprechenden Automaten richtig einstellen, dann haben wir komfortable Temperaturen im Haus. Das braucht Maschinen und Energie. Aber es geht oft auch einfacher.

 

Früher war das Haus vor allem ein Schutz gegen Wind und Wetter. Heute ähnelt mancher Neubau eher einer Maschine. Ist das sinnvoll?

Ja, irgendwann wird das Haus zum Christbaum. Ich wohne mit meiner Familie in einer alte Maschinenfabrik von 1938 mit Dreifachverglasung und Fußbodenheizung. Im Haus wohnen vier Familien, und die meisten von uns überlassen die Steuerung dem Computer. Ich habe eine kleine Schaltuhr für die Pumpe und die Vorlauftemperaturen der Heizung regele ich mit der Hand. Das bedeutet aber, dass man sich damit auseinandersetzt.

Energie sparen heißt auch heute nicht immer, eine gigantische Maschinerie im Haus zu besitzen. Man kann durchaus ein Niedrig-Energie-Haus bauen, das ausschließlich mit passiven Elementen arbeitet: ein Lüftungskamin, ein Erdregister mit einem Wärmetauscher und eine kleine Zusatzversorgung für Wärme. Das muss nichts Kompliziertes sein. Ich meine sogar, dass wir teilweise die Maschine wieder durch den Mensch ersetzen sollten. In öffentlichen Gebäuden und Schulen sagen zum Beispiel viele: Wir wollen keine Computersteuerung, stattdessen lieber einen Hausmeister!

Wir bei Transsolar bauen vernünftige Häuser im Sinne eines Passivhauses. Eine mechanische Lüftung mit Wärmerückgewinnung stellen wir infrage, wenn es keine sehr guten Gründe dafür gibt. Oft quetscht man nämlich, um Platz im Haus zu sparen, schmale Lüftungsschächte irgendwo rein und braucht dann viel Strom, um die Luft durch diese kleinen Rohre durchzupressen. Da ist ein bewusster Nutzer mindestens so effizient wie die Technik – und der braucht keinen Strom.

 

Können wir etwas tun, auch wenn wir nicht neu bauen?

Wenn wir den Klimawandel stoppen wollen, müssen wir von unserem Energieverbrauch 50 bis 70 Prozent einsparen. Das ist sowohl ökologisch wie ökonomisch das Sinnvollste. Der durchschnittliche Stromverbrauch eines Haushalts liegt im Moment zwischen 3.500 und 4.000 Kilowatt-Stunden im Jahr. Das ist zu hoch.

Wenn man sich heute die besten Haushaltsgeräte, Fernseher und Computer kauft, kann man mit einem Verbrauch von nur 1.500 Kilowatt-Stunden zurechtkommen. Man kann also mehr als 50 Prozent einsparen, indem man nur die richtigen Geräte kauft. Außerdem kann man über die Größe der Geräte nachdenken: Vielleicht braucht man nicht unbedingt einen riesigen, begehbaren Kühlschrank und keinen Flatscreen mit einer Diagonale von 1,5 Metern. Da ist ein Sparpotenzial vorhanden, über das sich viele Menschen nicht bewusst sind.

Außerdem brauchen wir einfach zu viel Platz. Wir haben eine Studie in Paris gemacht, wo in den 1960er Jahren pro Person 25 Quadratmeter Wohnraum zur Verfügung stand. Heute sind es 45 Quadratmeter und für 2030 sind sogar 67 Quadratmeter prognostiziert. All diese Flächen müssen beheizt oder gekühlt werden und das erhöht unseren persönlichen Fußabdruck.

 

Haben wir in Deutschland einen Dämm-Wahn?

Es geht nicht nur um unser Haus oder um die Außenwand, sondern um das gesamte Leben. Die Schweizer machen uns das vor mit ihrer Initiative der „2.000-Watt-Gesellschaft“. Sie rechnen alles mit: Wohnen, Arbeiten, Mobilität, Essen. Dafür hat jeder Mensch ein Kontingent von 2.000 Watt pro Jahr. 75 Prozent dieses Verbrauchs wollen die Schweizer über regenerative Energien erzeugen. Bleiben noch 500 Watt aus anderen Quellen, was 1 Tonne CO2 pro Jahr entspricht. Unser Planet kann etwa 8 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr verkraften und wir sind demnächst 8 Milliarden Menschen. Das ist eine Milchmädchenrechnung: Jeder darf 1 Tonne CO2 erzeugen.

Wir müssen es schaffen, dass die Menschen mit 2.000 Watt pro Kopf und Jahr auskommen. Was bedeutet das? In einem Fall heißt das, man muss gut dämmen, in einem anderen Fall kann es ein ganz anderer Ansatz sein. Ein Beispiel: Ein Fleischesser muss dämmen, weil die Erzeugung von Fleisch viel CO2 verursacht, ein Vegetarier muss nicht dämmen, weil er auf Fleisch verzichtet.

Oder stellen wir einen Vergleich hier in Deutschland an: Auf der einen Seite steht ein Lehrer, der in einer Altbauwohnung allein auf 100 Quadratmetern wohnt und mit dem Fahrrad zur Schule fährt, auf der anderen jemand, der mit seiner M-Klasse jeden Tag 15 Kilometer zur Arbeit fährt und mit der Familie im Passivhaus wohnt. Man denkt spontan, der mit dem Auto verliert. Aber nein: ein Altbau ist energetisch betrachtet so ineffizient, das kann der Lehrer mit seinem Fahrrad niemals kompensieren. Und 100 Quadratmeter allein zu bewohnen ist auch problematisch für die persönliche Energiebilanz. Es geht um unseren persönlichen CO2-Fußabdruck.

 

Sind Sie optimistisch, dass wir den Wandel zu mehr Energieeffizienz schaffen können?

In der Branche werden wir von Transsolar die Architekten-Flüsterer genannt. Wahrscheinlich deshalb, weil wir Ingenieure sind, die versuchen, die Position von Architekten und Bauherren zu verstehen. Wir versuchen bessere Häuser zu bauen, in denen Leute sich wohl fühlen und die möglichst wenig Energie und Material verbrauchen. Mein Ansatz ist: Wir müssen den Architekten der ersten Liga zeigen, dass sie ihre Architektur mit weniger Energie stärker machen können.

Dann werden es viele andere nachmachen. Nehmen sie Architekten wie Steven Holl oder Frank O. Gehry: Holl beginnt den Entwurf seiner Häuser immer mit wunderschönen Aquarellen. Da malt er jetzt auch Sonnenkollektoren und Windturbinen hinein. Und Frank O. Gehry baute mit 84 Jahren sein neues Privathaus in Santa Monica als Null-Energie-Haus. Er will ein „grüner Architekt“ sein. Die Message vom Energieproblem ist bei ihnen angekommen, und das bedeutet: Wir können das schaffen!